Die Mecker-Spirale

Eine Selbstbeobachtung: wenn ich einmal richtig am Meckern bin, dann bin ich wie eine Frau beim Winterschlussverkauf von Zalando: einfach unstoppable! 😉

Ich trage ein Armband, auf dem „Gemeckerfrei“ steht (s. Foto). Das soll mich daran erinnern, mit meinem Umfeld, allen voran meinen Kindern, weniger zu meckern. Das gelingt mir mal mehr, mal weniger. Heute gelang es mir definitiv nicht. Aber ich durfte mal wieder etwas über mich herausfinden und dafür bin ich meinen Kindern dankbar.

Nach einem Tag voller Hingabe für die Wünsche meiner Kinder mit u.a. Eis und Freibad-Besuch forderten meine beiden Prinzessinnen Pommes Frites im Freibad-„Restaurant“.  Allerdings mahnten mich die aufkommenden Regen-Wolken und die Erinnerung an die grauenhaften Pommes Frites vom letzten Freibad-Besuch zu einem raschen Heimweg. Meine Kinder waren nicht einverstanden und taten das lautstark kund. Die Geschichte nahm ihren Lauf: „Wir haben noch Kartoffeln von Mittag“, bat ich meine 4- und 7-jährigen Kinder um einen sorgsamen Umgang mit Nahrungsmittel.  „Wir hatten heute schon Eis! Wieso wisst Ihr nie, wann genug ist?“, forderte ich Demut und Dankbarkeit (habe ich schon erwähnt, dass sie 4 und 7 Jahre alt sind?)  Das Ganze gipfelte dann in ein Versprechen, welches ich natürlich nie und nimmer einhalten kann: „Mit Euch gehe ich so schnell nicht mehr ins Freibad!“ Ich spürte förmlich, wie diese Drohung ins Leere ging. Ich glaube sogar, meine Kinder haben sich gegenseitig angesehen und gegrinst. 😊

Ich nehme Fahrt auf und finde die Bremse nicht mehr: Daheim angekommen, stelle ich fest, dass es in unserer Wohnung wieder einmal aussieht wie nach einer 3tägigen indischen Hochzeit. Mein Mecker-Modus ist natürlich der ideale Moment, um auch ein paar andere Dinge anzusprechen, die schon längst einmal gesagt werden mussten: „Der Kleiderkasten bietet Platz für 30 Jacken, er quillt über und 4 Jacken gehören mir“, grummle ich meiner Frau zu, die das Pech hat, genau in diesem meinem Zustand von der Arbeit heimzukommen. Zum Schluss quittiere ich ihre Bitte um Unterstützung bei der Pflege des Rasens galant mit: „Schon wieder Rasenmähen? Sind wir die einzigen in unserer Verwandtschaft, die einen Rasenmäher bedienen können?“

Was tun in so einem Moment?

Was also tun? Wenn ich Glück habe, dann begegne ich zufällig Jemandem, der sich gerade genau im selben Modus befindet wie ich. z.B. einen meckernden Vater im Spielplatz. Denn dieser zeigt mir eindringlich, wie lächerlich mein Zustand aussieht. 😊

Oder ich stelle mir meine Mutter vor, wenn Sie bei unseren Besuchen meinen Kindern hinterherräumt. Sie weigert sich nämlich beharrlich, meinen Ratschlag anzunehmen und erst aufzuräumen, wenn die Kinder wieder außer Haus sind. Während sie also ihren Enkeln hinterher den Boden wischt, doziert sie über die fundamentale Bedeutung von Ordnung, Sauberkeit und Tisch-Manieren. Meine Kinder lauschen aufmerksam zu, wischen sich die von Marmelade getränkten Finger sorgfältig am Kleid ab und positionieren ihre Füße am Esstisch. Letztens musste ich bei diesem Anblick schmunzeln, doch dann ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: was meine geliebte Frau Mama macht, das mache ich oft genauso! Nämlich Putzen und Meckern gleichzeitig. Meistens habe ich dabei einen laufenden Staubsauger im Arm, dessen Lautstärke es meinen Kindern erschwert, meinen Weisheiten zu lauschen.

Selbstanalyse und -Erkenntnis

Wenn sich der Sturm wieder gesenkt hat und ich wieder im Normal-Betrieb angekommen bin, dann ist es Zeit für eine reinigende Selbst-Analyse. Dann blicke ich zurück auf die Stunden, bevor ich anfing zu meckern. Irgendwo dort liegt meistens die Lösung bzw. die Ursache. Denn es ist ziemlich sicher, dass ich irgendwann ein Bedürfnis und damit mich selbst übergangen habe. Irgendein Bedürfnis, das mir mein Körper gesendet hat, aber mein Verstand beiseite geschoben hat. Im konkreten Fall hatte ich am Vormittag einen kurzen Moment lang das Bedürfnis, meinen Klugscheißer-Beitrag zum Thema „Wann ist ein Mann ein Mann?“ endlich zu finalisieren. Das schob ich aber auf den Abend, denn jetzt galt es, einen soeben erfolgten Arbeitsauftrag aus dem Büro zu erfüllen. Pflicht geht vor, ermahnte mich mein Verstand. Bedeutet: Ich habe mich und ein Bedürfnis zurückgestellt. Diese Zurückweisung meines Bedürfnisses schlummerte zunächst unbemerkt in mir und wartete nur auf den geeigneten Augenblick, um auszubrechen. Dieser Augenblick trat ein, als meine Kinder „Papa, können wir bitte Pommes Frites haben?“ sagten. Damit taten sie ihr Bedürfnis kund. Ich dagegen hatte mein Bedürfnis ein paar Stunden zuvor zurückgestellt. Das triggerte mich. „Wieso wisst Ihr nie, wann genug ist?“ meckerte ich meine Kinder an. Korrekterweise hätte ich sagen sollen: „Warum bin ich meinem Bedürfnis nicht nachgegangen?“

Fazit: Meistens ist das, worüber ich meckere, gar nicht der Grund für mein Gemecker, sondern maximal der Auslöser. Und in 99% der Fälle sind meine Umgebung bzw. meine Mitmenschen nicht der Grund. Sondern ich.

Diese Erkenntnis ist jedes Mal spannend.

Klugscheißer-Tipps:

  • Wenn Sie in der Mecker-Spirale stecken, gehen Sie Ihren Mitmenschen aus dem Weg, meiden Sie Blickkontakt und treffen Sie keinesfalls irgendwelche wichtige Entscheidungen. 😉
  • Allerdings eignet sich dieser Zustand ideal, um die Wohnung von Grund auf zu putzen, zentnerweise Flaschen zu entsorgen oder Wäsche zu waschen bzw. zu bügeln. Sie werden erstaunt sein, wie viel Sie in relativ kurzer Zeit schaffen. 
  • Wenn Sie nach einem ausgiebigen Mecker-Rausch wieder Sie selbst sind, dann blicken Sie zurück: wo haben Sie sich zuvor zurückgenommen? Wo sagte Ihr Gefühl „Ja“ und Ihr Verstand „Nein“? Wo haben Sie sich verleugnet?
  • Lernen Sie wieder, wie Sie ein Bedürfnis wahrnehmen und artikulieren können. Wenn Sie Kinder haben, umso besser. Das sind ideale Lehrmeister. 😊
  • Ein guter Lehrmeister ist oft auch Jemand, den Sie üblicherweise als „Egoist“ bezeichnen. Vielleicht ist dieser Jemand auch gar kein Egoist, sondern nur Jemand, der es gelernt hat, ein Bedürfnis mitzuteilen…? Und gerade deswegen Sie einfach nur (unbeabsichtigt) triggert?

Text: Paul Grohmann, 6.6.2022

Foto: Paul Grohmann