Halbpension mit Kindern ist doppelte Strafe

Was man mit Kindern auf einem 4tägigen Urlaub bei Tisch alles erlebt, könnte ganze Bücher füllen.

Vorab: mit unseren Kindern haben wir uns hinsichtlich Tischmanieren darauf verständigt, dass sie es bei uns daheim etwas locker angehen lassen dürfen (das Resultat kann dem Foto entnommen werden). Anders ist es aber, wenn unsere Kinder wo zu Gast sind. Da sind Tischmanieren erwünscht. So weit die Theorie. 

Wie sehr unser Regelwerk in der Praxis funktioniert, davon konnten wir uns bei einem Kurz-Urlaub in einem Hotel auf der Tauplitzalm überzeugen: Mit der deutlich hörbaren Frage „Ist das ein Mann oder eine Frau?“ und zielsicher auf eine Dame am Salatbuffet zeigend, setzte unserer 4jährige Tochter bereits am ersten Abend ein Highlight. Ebenfalls lustig war es, als unsere 7jährige Tochter mal wieder vom Tisch aufstand, ein paar Minuten später zurückzukehrte und uns (und dank ihrer kräftigen Stimmbänder alle anderen Hotelgäste) wissen ließ, dass sie gerade Kacki gemacht hat, aber kein Klopapier mehr da ist... Bon appetit! 😊

Weitere Beispiele, die belegen, dass unser Tischmanieren-Regelwerk mit Pauken und Trompeten durch den Praxistest gefallen ist: die Schokocreme wird stilsicher statt in der dafür vorgesehenen Serviette im Kleid entsorgt, die Füße verharren verlässlich auf dem Sessel statt darunter, die Haare landen punktgenau in der Marmelade, eine Armee von Plüschtieren bevölkert den Esstisch, lautes Schlürfen schallt durch den Raum beim Verzehr der Suppe und ein Rülpser unserer 4jährigen lässt keine Zweifel daran, dass sie nun satt ist. Wenn ich dabei merke, wie in mir Zorn aufkommt, dann stelle ich mir einfach vor, wie es wohl wäre, wenn ich eine derartige Tischkultur praktizieren würde. Schon ist der Ärger verflogen und ich muss lachen 😊

Als erfahrene Eltern positionierten wir uns jeden Abend mit dem Rücken zu den anderen tafelnden Hotelgästen, um ihren Blicken auszuweichen. Trotz unserer Bemühungen ließ sich der eine oder andere Dialog mit den Hotelgästen nicht vermeiden. Diese Dialoge verliefen zu unserer Überraschung allerdings durchaus positiv: Für unsere Geduld und unseren Umgang mit unseren Nachkommen bekamen wir Lob. Wobei ich mir nicht 100%ig sicher bin, ob das ernst gemeint war oder vielleicht doch blanker Zynismus. Verstehen würde ich beides.

Halbpension zu buchen ist grundsätzlich schon einmal Hochrisikogebiet: bei á la carte besteht zumindest eine 50:50-Chance, dass das Essen, welches das Kind zuvor auswählt, ihm auch schmeckt. Bei Halbpension, wo die Menüabfolge fix vorgegeben ist, kann es schon einmal vorkommen, dass alles bis auf das Dessert unangetastet bleibt. Ein Glück, dass der Vater immer hungrig ist! Während unsere 7jährige lustlos in der Suppe herumstochert, um auch das kleinste Gemüsestück noch herauszufischen und es nicht essen zu müssen, lässt es sich berichten, was es zum Hauptgang gibt. Als meine Antwort „Fisch“ lautet, äußert das Kind seine Unzufriedenheit damit, dass es den Löffel zurück in den Suppenteller befördert und unter lautstarken Protesten den Tisch verlässt.
Dagegen findet das Frühstück in der Regel breite Zustimmung. Im Minutentakt ertönen Kommandos aus den Mündern unserer Prinzessinnen, die darauf schließen lassen, dass es schmeckt: „Ich brauch Honig!, Aufmachen!, Bitte Wasser! Ich brauch Besteck!, Aufschneiden!...“  Meine Frau bringt einen Teller mit Schinken und Käse für die ganze (!) Familie. Allerdings schaufelt sich unsere 4jährige alles auf eine halbe Semmel. Der Belag aus Schinken und Käse ist dreimal so dick wie die Semmel. Sie beißt dreimal ab und verlässt daraufhin den Tisch, um begeistert auf die Kellnerin mit dem heißen Teewasser auf dem Tablett zuzurennen.

Am Ende des Kurz-Urlaubs mussten meine Frau und ich uns eingestehen: ein 4Gänge-Menü und die damit einhergehende Wartezeit sind für unsere Kinder eigentlich eine Zumutung. So gesehen, waren ihre Tischmanieren im Grunde genommen nahezu vorbildlich.


Klugscheißer-Tipps für Restaurant-Besuche mit Kindern:

  • Starten Sie Ihr Menü mit kalten Gerichten und essen Sie erst dann warm, wenn Ihre satten Kinder den Tisch verlassen haben. Bis dahin werden Sie nämlich nicht zum Essen gekommen sein und selbiges wird nur kalt.
  • Wischen Sie nach dem Gelage ein paar am Boden liegende Essens-Rückstände Ihrer Kinder zusammen und täuschen Sie damit vor, dass es Ihnen leid tut und die schlechten Manieren Ihrer Kinder nicht von Ihnen stammen.
  • Essen Sie inkognito! Verdecken Sie Ihr Gesicht (z.B. mit dicker Sonnenbrille) und setzen Sie sich mit dem Rücken zu den anderen Hotelgästen. Sprechen Sie kein Wort mit Niemandem!
  • Wenn Sie trotzdem gefragt werden, ob das Ihre Kinder sind, sagen Sie, dass Sie Freunde der Eltern sind und lediglich vorübergehend auf die Kinder aufpassen; oder dass Sie professionelle Nannys sind, aber bitte, bitte, bitte streiten Sie alles ab!
  • Essen Sie zu Hause.
  • Last but not at all least: Wenn Ihr Kind auf Tischmanieren und überhaupt auf alles, was mit Etikette zu tun hat, pfeift, dann feiern Sie es! Denn dann hat es etwas viel wichtigeres als gutes Benehmen: nämlich Spaß! 😊


Text: Paul Grohmann, 24.7.2022
Foto: Paul Grohmann