„Kommen Sie zu uns, wir haben nichts“
Dieser geniale Werbeslogan eines (noch) unberührten Tals in Osttirol lässt mich zugleich an viele Skurrilitäten denken, welche wir heutzutage unter Tourismus verstehen.
„Ein Land wie ein riesiger gespickter Rehrücken, zerstochert und malträtiert von tausenden Stahlträgern, gehalten im zarten Würgegriff der Seilbahnen und dröge hingeklatschten Après Bars und ähnlichen Belustigungsschuppen. Allerorten konkurrieren heute denaturierte Alpentäler um die Gunst des konsumwilligen Spaßurlaubers.“
Diese Zeilen sind großartige Literatur und stammen deshalb nicht von mir. Vielmehr handelt es sich dabei um einen „Welt“-Bericht über das Villgratental in Osttirol, welches sich gegen den modernen Skizirkus mit all seinen Begleiterscheinungen tapfer zur Wehr setzt – und das durchaus erfolgreich, denn die Touristen, die kommen, kommen gerne und wieder. (Der ganze Bericht ist hier nachzulesen und verdient das Prädikat lesenswert 😃).
Dieses Tal bildet einen wohltuenden Kontrast zu anderen Skurrilitäten des Tourismus. Schauen wir uns doch einmal um:
• Blicken wir zunächst nach Katar – wohin gerade alle Blicke hinwandern, denn dort findet gerade eine Fußball-Weltmeisterschaft statt (wohlgemerkt in einem Land so groß wie Oberösterreich): Für schlappe 20.000 Euro pro Nacht können betuchte Besucher auf einer Super-Yacht die Fußball-Spiele verfolgen. Inkludiert sind u.a. ein mit Michelin-Stern-dekorierter Koch, fünf Luxuskabinen, ein Skydeck und eine Bord-Bar 😋 (s. link).
• Oder wie wäre es mit einem immobilienbefreiten Zimmer? Kennen Sie nicht? So ging es mir auch und deshalb begab ich mich auf Recherche: das sind Hotelzimmer ohne Wände und Dach. (s. Foto 😳; Quelle: Toggenburg Tourismus) Das Ding dürfte der Renner sein, denn in der Ostschweiz und im Fürstentum Liechtenstein lauern auf der Warteliste laut einer Hotel-Fachzeitung inzwischen über 9.000 Personen (link zum Bericht). Aber irgendetwas in mir ist sich noch nicht 100% sicher, ob das nicht doch nur ein Scherz ist. Die Hoffnung lebt jedenfalls 😅.
• Bei Touren nach Grönland begeben sich Naturliebhaber auf die Suche nach Eisbergen bzw. den Letzten ihrer Art. Touristen, die am Vorabend noch beim Abendessen leidenschaftlich darüber diskutierten, dass der Tourismus ebenfalls zum Klimawandel beiträgt, steigen am nächsten Tag in ein kleines, Benzin-betriebenes Flugzeug, um einen Eisberg zu umrunden. Danach bekommen sie die Gelegenheit, Original-Eiswürfel zu kaufen und diese mit nach Hause (!) zu nehmen. Das Geschäft mit den Eiswürfeln läuft angeblich gut.
• Aber man muss als Österreicher auf der Suche nach Tourismus-Skurrilitäten gar nicht so weit fahren, denn wir haben ja immerhin das Skifahren. Dieses Stück Kulturgut ist den Touristen so wichtig, dass sie auch in den Frühlingsmonaten nicht darauf verzichten wollen. So kommt es, dass nicht nur Anfang Dezember, wenn noch kein Schnee liegt, sondern auch Anfang April, wenn fast kein Schnee mehr liegt, Touristen sich die Piste hinabwerfen. Diese Pisten sind links und rechts flankiert von sattem Grün, aber dank auf Hochtouren laufender Skikanonen, ist der Pistenspaß auch bei Plus-Graden garantiert. Après Ski Bars, wo die Menschen dank Dutzender glühender Heizschwammerl draußen auch bei Minus-Graden oben ohne zu „Layla“ abtanzen, runden das idyllische Bild ab. 😎
Die Liste ließe sich noch weiterführen, aber machen wir mal hier einen Stopp und lassen die oben beschriebenen Bilder etwas nachwirken…. 🤔
Historiker meinen, dass in der römischen Antike am Höhepunkt der Macht gleichzeitig die Dekadenz in Rom Einzug hielt: Im Zirkus wurden Menschen zum Spaß des zahlenden Publikums den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Reiche römische Adelige veranstalten tagelange Fress-Orgien und auch römische Kaiser wie Nero waren ja auch nicht gerade von Bescheidenheit geprägt. So gesehen, könnte man angesichts der heutigen Touristen-Attraktionen glatt die böse These aufstellen, dass wir uns bereits auf einem ganz guten Weg dorthin befinden 😊
Klugscheißer-Tipps:
- Sollten Sie bei einer Kreuzfahrt einem Eisberg begegnen, machen Sie noch schnell ein Selfie!
- Wenn Sie Reise-Angebote online sichten, werden Sie erstaunt sein, wie großzügig der Begriff „ab“ (XXX Euro) seitens des Reise-Anbieters ausgelegt wird.
- Wenn Sie in einem Hotel einchecken, starten Sie ein Experiment und messen Sie die Zeit, wie lange Sie sich die Frage nach dem WLan-Passwort verkneifen können. Viel Erfolg dabei! 😊
- Kennen Sie noch weitere gallische Dörfer wie das Villgratental, so belohnen sie deren heldenhafte Mission, indem sie im nächsten Jahr wiederkommen.
Text: Paul Grohmann, 26.11.2022
Foto: Toggenburg Tourismus