Mach’s wie ich oder lass es bleiben
Eine meiner größten Herausforderungen war und ist es, anzuerkennen, dass auch andere Menschen einen eigenen Willen und ein eigenes Hirn haben. Ich habe meistens eine ganz konkrete Vorstellung, wie etwas zu tun ist und jeder Millimeter Abweichung löst bei mir Unverständnis und Unbehagen aus.
Zum Beispiel: Als Kind spielte ich gemeinsam mit meinen Freunden gerne mit den „Masters of the Universe“-Figuren von Mattel („He Man“, „Skeletor“ etc. wer kennt sie nicht?). Ich dachte mir die tollsten Abenteuer aus und teilte meine Freunde exakt ein, wer welche Figur wie zu bespielen hatte. Nur eine kleine Abweichung von meinem Drehbuch und ich wurde sauer. Das hatte den praktischen Effekt, dass ich meistens alle Masters-Figuren für mich alleine hatte, denn irgendwann wollte Niemand mehr mit mir spielen 😊
Heute lebe ich meine Leidenschaft für genaue Vorgaben so aus, indem ich anderen Menschen Ratschläge gebe. Ein Nicht-Umsetzen eines meiner Ratschläge empfinde ich als persönliche Kränkung. Majestätsbeleidigung! Vermutlich verstehe ich unter Teamwork so was wie ‚Wir machen es gemeinsam und zwar genau so, wie ich es tun würde‘. Oder anders gesagt: Mach’s wie ich oder lass es bleiben.
Mir ist schon klar, dass das viele Menschen nervt! Wahrscheinlich ist die Grenze zur Pedanterie nur noch eine Fußnagelbreite von mir entfernt. Deswegen gelobe ich Besserung und übe. Ein wunderbares Übungsfeld ist meine Familie. Meine Kinder geben mir täglich eine Million Anlässe, ihnen einen guten Ratschlag zu geben. „Mach ich sicher nicht“, ist aktuell die häufigste Antwort meiner älteren Tochter, wenn ich ihr wieder mal einen Rat gebe, welcher ihr Leben mit einem Mal besser machen könnte. 😊
Oder meine Frau: Sie nimmt meine Verbesserungsvorschläge „wohlwollend zur Kenntnis“. Diese Formulierung verwenden Politiker in der Regel, um Jemandem auszurichten, dass dieser Jemand einem aber so was von den Buckel runterrutschen kann. Folglich sind meine Frau und ich übereingekommen, gewisse Aufgabengebiete untereinander aufzuteilen und zwar so, wer was besser kann. Das hat den für mich angenehmen Vorteil, dass mein Aufgabengebiet mit den Jahren konstant schrumpfte und mittlerweile ziemlich überschaubar ist. Aber eines meiner Hoheitsgebiete ist das Einräumen und Anwerfen des Geschirrspülers. Das beherrsche ich wie kein Zweiter! Meine Frau weniger. Ich glaube sogar, dass meine Frau die schlechteste Geschirrspülereinräumerin auf Erden ist. 😊 Während bei mir Teller, Gläser, Besteck immer an exakt derselben Stelle befinden, ähnelt das Einräumen bei meiner Frau einem Mikado: man weiß nie, wie die Stäbe fallen bzw. wo das Geschirr diesmal landet. Aber sie weigert sich beharrlich, mein bewährtes Geschirrspülereinräumsystem anzuwenden.
Auch im Büro werden Empfehlungen meinerseits in der Regel gewissenhaft ignoriert. Meistens geht es faktisch um Nix, was die Zurückweisung meine Expertise für mich erträglich macht. Aber manchmal ist ein Projekt dann doch wichtig und das Ignorieren meiner Ratschläge würde unweigerlich zu einem Desaster führen. Praktisch finde ich in so einem Fall dann Protokolle und Aktenvermerke, wo ich meine Warnhinweise und Kassandra-Rufe verlässlich festhalte. Das gibt mir dann ein beruhigendes Gefühl, wenn ich dann darauf warte, dass die von mir prophezeite Katastrophe eintritt.
Doch meistens warte ich vergeblich. Meistens setzt die von mir prophezeite Katastrophe nicht ein. Das ist dann blöd und ich bin enttäuscht.
Tja und so komme ich immer mehr zu der Erkenntnis, dass meinen Mitmenschen am besten geholfen ist, wenn ich Sie einfach machen lasse…
Klugscheißer-Tipps:
- Schlichten Sie die scharfen Messer im Geschirrspüler so ein, dass die Spitze nach unten zeigt.
- Wenn Sie ein Mann sind und Ihre Frau Sie um einen Rat fragt, umarmen Sie sie, entschuldigen Sie sich für irgendein Versäumnis, oder sagen Sie ihr, wie sehr Sie sie begehren. Aber um Himmels willen, geben Sie Ihr bloß keinen Rat! Es ist eine Falle!
- Und wenn sich alle Ihre Mitmenschen scheinbar wieder einmal kollektiv gegen Sie verbündet haben und Ihre Ratschläge ignorieren: überlegen Sie, was das Schlimmste ist, was passieren könnte. Und dann lassen Sie los.
Text: Paul Grohmann, am 9.4.2022
Foto: Paul Grohmann