Ja und wo bleibe eigentlich ich? Gedanken eines Vaters...
Meine Frau und ich leisten uns eine 130 m²-Wohnung. Die Miete schmerzt, kein Zweifel! Wir teilen uns diese Wohnung mit unseren 2 großartigen Kindern. Wobei „teilen“ eine Übertreibung ist. Nach einem jahrelangen Rückzugsgefecht residiere ich mittlerweile nur noch auf 2 m²: nämlich meine Schreibtisch-Ecke im gemeinsamen Arbeitszimmer mit Blick auf eine 3 Meter hohe weiße Wand. Unser (großes) Schlafzimmer haben wir unlängst gegen das kleinere Kinderzimmer eingetauscht. „Die Kinder brauchen mehr Platz“, dachten wir uns. Ergebnis: nun haben sie genau so wenig Bodenfläche für ihre Füße zur Verfügung, denn es liegt nun einfach noch mehr Zeug herum.
Meine Frau hat sich immerhin ein eigenes kleines Zimmer gesichert. (Ursprünglich war es als unser gemeinsames Zimmer geplant und ist es angeblich immer noch). Allerdings läuft dieses Zimmer Gefahr, als Lagerraum verwendet zu werden. Als Mastermind hinter Weihnachten, Geburtstagen und überhaupt für alles Gute, das uns im Leben passiert, ist meine Frau mit allerhand organisatorischen Aufgaben und - damit einhergehend – jeder Menge Krempel konfrontiert.
Aber auch um diese meine verbliebenen 2 m² - die ich mir im übrigen mit einer zentnerschweren Singer-Nähmaschine teile, die ein trauriges Rentner-Dasein fristet - herrscht ein erbitterter Kampf: um meiner Arbeit im nunmehr verordneten Home Office nachzukommen, habe ich gefühlte 100 Mal über einen Türstopper nachgedacht. Unsere Kinder können es nämlich nicht lassen, mich Trotz meiner Bitte um Ruhe regelmäßig im Arbeitszimmer aufzusuchen, um mir z.B. zu berichten, dass es Einhörner in Wahrheit gar nicht gibt. Ich war unlängst nur noch einen Mausklick vom Kauf des einbruchsicheren und jederzeit abnehmbaren „Door Jammer“ für 26,95 Euro entfernt. Dann musste ich aber an meine beiden Zuckerschnecken denken und brachte es nicht übers Herz! Meine Töchter dankten es mir nur wenige Tage später, als sie während eines durchaus wichtigen Online-Meetings mit all meinen Vorgesetzten ins Zimmer krachten. Die Ältere hatte ihren selbst gebastelten Hexenhut vom letzten Halloween-Fest an und blickte neugierig in die Kamera. Wenig später erschien meine Jüngere und winkte den Teilnehmern freudig zu. Die bohrenden Blicke meines Chefs – ohnehin kein glühender Fan von Home Office - habe ich auch aus 8,6 km Entfernung ganz deutlich gespürt.
Als bemühter Ehemann und liebevoller Vater habe ich mich mit gewissen Dingen arrangiert, die ich vor 10 Jahren für undenkbar gehalten habe: Meine Tennistasche – Relikte aus meiner sportlichen, Lichtjahre zurückliegenden Vergangenheit - liegt staubbedeckt und eingezwickt zwischen Waschmaschine und einem Regal mit u.a. Baby-Sachen, die wir allesamt nicht mehr brauchen. „Wir könnten diese Dinge ja verschenken“, sagen wir uns seit mittlerweile 2 Jahren. Meine Lese-Ecke im Wohnzimmer ist zugedeckt mit Schulsachen unserer älteren Tochter. Da sie sich mittlerweile nicht mehr den Weg zu ihrem Schreibtisch im Kinderzimmer bahnen kann, macht sie ihre Hausaufgaben auf meiner Sitzecke. Als wir vor Jahren – als es gesetzlich noch erlaubt war - Freunde in ihrem neuen Haus besucht haben, war ich vom eigenen Weinkeller fasziniert. „So etwas will ich auch einmal“, japste ich meiner Frau zu. Daraufhin schenkte sie mir einen hochwertigen, 40x40 cm Holzkasten der Marke „Chateau la Claire“ mit Platz für exakt 12 Flaschen Wein. Diese müssen sich ihre Unterkunft allerdings aktuell mit 4 Seifenblasen-Behältern von der letzten Hochzeit, 3 Stk. AAA-Batterien und 1 Tüte Bananenchips teilen – ich habe vorhin extra noch einmal nachgesehen.
Ich stelle immer wieder fest, dass es unmöglich ist, so etwas wie ein Ordnungssystem einzuführen. Ich wäre ja schon glücklich, wenn wir mit dem kleinen 1x1 anfangen: den Mantel gleich aufhängen und nicht am Tag verteilt 30x umständlich drüber steigen. Oder die Kaffeetasse gleich in den Geschirrspüler legen. Oder einen fixen Platz für die im Unterricht zu tragende Maske finden anstatt sie jeden Tag aufs Neue zu suchen. Aber scheinbar verlange ich da zu viel…
Ich selber bin ja durch und durch organisiert. Sämtliche Geburtstage sind im Outlook. Ich mache mir sorgfältig Notizen mit ToDos, die ich dann aber nicht erledige. Meine aktuell älteste Erinnerung im Outlook –Kalender ist eine Terminvereinbarung für die Zahnreinigung, die nunmehr seit 42 Wochen täglich verlässlich aufpoppt. Meine Frau ist anders. Sie ist weit weniger organisiert als ich aber irgendwie schafft sie es, dass sich die Dinge scheinbar von selbst erledigen.
Aber genug gejammert! Aktuell gibt es einen Lichtblick: Heute räumen wir auf! Meine Frau ist motiviert. Sie hat sich mit dem Kinderzimmer ausgerechnet das Husarenstück vorgenommen. Ich bin dahingehend etwas skeptisch, da fix davon auszugehen ist, dass besagtes Kinderzimmer in spätestens 3 Tagen genauso aussehen wird wie vorher. Aber ich will das zarte Pflänzlein von aufkeimendem Ordnungswillen nicht zertreten und sage nichts. Morgen kommt nämlich der Nikolaus. Unsere Kinder wollen sich von ihrer besten Seite zeigen. Diese einmalige Chance müssen wir nützen!
Klugscheißer-Tipps:
- Wenn die Firma Home Office verordnet, erzählen Sie nichts davon daheim.
- Ein Türstopper bringt dahingehend nichts, als dass das Kind gegen die Türe hämmert und um Einlass bittet, während Sie telefonieren. Dann besser das Kind hereinlassen und Stift & Papier rüberreichen.
- Und schließlich ein Tipp, den Sie garantiert noch nie gehört haben: genießen Sie die Zeit mit ihren Kindern, sie geht so schnell vorbei! :-) :-)
Text: Paul Grohmann am 4.12.2021
Foto: Paul Grohmann